Digitalisierung in der internationalen Bildungs- und Hochschullandschaft

Internet und Informationstechnologie beeinflussen den Alltag an Schulen und Universitäten. Einblicke in den Stand der Digitalisierung verschiedener Länder.

Studierende mit Laptops an Gruppentischen
© ANN/Picture Alliance

Smart Classroom in Singapur

Wie kaum eine andere gesellschaftliche Entwicklung zuvor verändert die Digitalisierung die weltweite Bildungs- und Hochschullandschaft. Lernen findet zunehmend virtuell statt. Apps und digitale Services vereinfachen administrative Tätigkeiten. Doch der digitale Bildungsalltag schreitet in den Ländern unterschiedlich schnell voran. Auf der DAAD-Netzwerkkonferenz im Juli 2018 in Bonn gaben Länderexpertinnen und -experten des DAAD Einblicke in Digitalisierungsprojekte weltweit.

Armenien: IT-Berufe stärken

Mehr als 30 Prozent der Einwohner Armeniens gelten nach offiziellen Angaben als arm – die tatsächlich Zahl liegt wahrscheinlich weit über dieser Angabe. „Obwohl traditionell viel Wert auf Bildung gelegt wird und die IT-Wirtschaft seit Jahren wächst, ist das Bildungssystem unterfinanziert und der Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften groß“, berichtet Silvia Schmid, die das DAAD-Informationszentrum Eriwan bis Juni 2018 leitete. Die IT-Branche wollte diesen Zustand nicht länger hinnehmen und half sich selbst. Die Union of Advanced Technology Enterprises (UATE) rief 2014 das Programm Armath Engineering Laboratories für Kinder ab zehn Jahren ins Leben, das die technische Grundausbildung im öffentlichen Schulsystem Armeniens verbessern soll.

Angeleitet durch einen Trainer entwickeln und realisieren die Schülerinnen und Schüler je zwei bis drei Projekte pro Jahr. Mit grundlegenden Programmierkenntnissen, die die Kinder und Jugendlichen zu Beginn des Projekts erlernen, drucken sie dreidimensionale Objekte eines zuvor am Bildschirm entwickelten Modells, bauen mobile Roboter oder programmieren Spiele, Animationen und interaktive Kunst. Das Besondere: Alle Tools und Oberflächen, mit denen die Kinder arbeiten, wurden zuvor in Armenien entwickelt.

Das Projekt scheint ein Erfolg zu sein. 84 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die an dem Programm teilhaben durften, nehmen nach Angaben von UITE nach ihrem Schulabschluss ein Studium auf (im Vergleich zu landesweit 51 Prozent). Im März 2018 gab es in Armenien 225 Engineering Laboratories mit mehr als 5.000 teilnehmenden Kindern und Jugendlichen. Angestrebt werden 1.800 Labore. Die Initiatoren hoffen, damit das Ansehen von IT-Berufen zu stärken und langfristig die Abwanderung junger Menschen ins Ausland zu stoppen.

„An den Hochschulen ist die Digitalisierung allerdings noch nicht in diesem Maße angekommen“, sagt Silvia Schmid. Nach der „samtenen“ Revolution im April 2018 und der spürbaren Aufbruchsstimmung im Land hofft sie auf noch mehr staatliche Unterstützung und eine Modernisierung der Curricula – besonders in den MINT-Fächern, denn gute Experten seien an den armenischen Universitäten grundsätzlich zu finden.

Armenische Schüler bauen einen Roboter
© Armath/UATE

Armenische Schüler bauen einen Roboter

Subsahara-Afrika: Scripted Learning mit dem Tablet

In Kenia, Uganda und Nigeria unterstützt das Unternehmen Bridge International Academies das Schulsystem mit dem Konzept des Digital Scripted Learning. Lehrkräfte laden sich standardisierte Lehrpläne direkt aufs Tablet und unterrichten anhand dieser detaillierten Anweisungen. Von Bildungsexperten aus Cambridge zusammen mit lokalen Teams entwickelt, soll das Projekt moderne Didaktik und Lehrmaterialien in die Klassenräume bringen. Es unterstützt die Lehrkräfte dabei, den herkömmlichen, oft strengen Frontalunterricht abzulegen und die Stunden anhand der Vorgaben des Digital Scripted Learnings zu strukturieren und modern zu gestalten.  Gleichzeitig ermöglichen die Tablets eine datenbasierte Evaluierung von Lehrenden, Lernenden sowie der Curricula.

Das Programm findet im Rahmen so genannter Low-Cost Private Schools statt. Mit sieben Dollar Schulgeld pro Monat schließen sie die Lücke zwischen öffentlichen Schulen und teuren Privatschulen. Bisher gibt es 559 dieser Privatschulen mit aktuell 100.000 Schülerinnen und Schülern. 2025 sollen es zehn Millionen sein.

„Die Daten zeigen, dass sich die Methode besonders zur Vermittlung von Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen eignet“, erklärt Lena Leumer, Leiterin des DAAD-Informationszentrums Accra in Ghana. Kritische Stimmen fragen hingegen, ob sich das Verfahren auch bewährt, wenn es um das Erlernen komplexer Fähigkeiten geht und ob lokales Wissen durch standardisierte Lehrpläne auf der Strecke bleibt. Darüber hinaus wird die mangelnde Autonomie der Lehrenden skeptisch gesehen.

Auf die Frage, ob der Einsatz von Scripted Learning auch an Hochschulen sinnvoll wäre, hat Lena Leumer keine abschließende Antwort – gerade weil sich Bildungsinitiativen wie diese in Afrika häufig im Spannungsfeld zwischen sozialem Engagement und dem Profitversprechen an Investoren bewegten.

Kinder mit Tablet in der Schule
© Cecil Bo Dzwowa/Shutterstock

Lernen mit dem Tablet

Singapur: Apps im Hochschulalltag

Im flächenmäßig kleinsten Staat Südostasiens ist die Digitalisierung sehr weit vorangeschritten. „In Singapur sind Smartphones für Studierende und Lehrende selbstverständlich“, weiß Claudia Finner, Leiterin des DAAD-Informationszentrums Singapur. Eine von ihr initiierte, nicht repräsentative, aber dennoch aufschlussreiche kleine Umfrage, welche Apps Studierende aus Singapur auf dem Campus am häufigsten nutzen, brachte interessante Ergebnisse.

Unverzichtbar sei die App PayLah!, mit der die Studierenden ihr Essen in der Mensa bezahlen. Statt Bargeld oder Mensa-Karte kommt das Smartphone zum Einsatz. Mit der App scannt der Studierende einen QR-Code und tippt die vom Verkäufer genannte Summe ein. Der Verkäufer erhält sofort eine Bestätigung über den erfolgreichen Geldtransfer.

Aufgrund des tropischen Klimas in Singapur werden Wege auf dem Campus oft per Shuttlebus zurückgelegt. Feste Busfahrpläne gibt es jedoch nicht. Nur Angaben, in welchen Intervallen die Busse ungefähr fahren. Die hochschuleigene App NUS NextBus löst dieses Problem. Sie zeigt die Bushaltestellen auf dem Campus an, die sich in unmittelbarer Nähe befinden – sortiert nach Entfernung und auf den Meter genau. Für die ausgewählte Station erfährt der Studierende die Ankunftszeit der nächsten zwei Busse und kann sich die Route des jeweiligen Shuttles anzeigen lassen. Eine zusätzliche Karte mit den Haltestellen macht es auch neuen Studierenden leicht, sich auf dem Campus zurechtzufinden.

Ohne die App IVLE ist der Lehrbetrieb an den Hochschulen Singapurs nicht vorstellbar. Die Anwendung unterstützt die Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden. Kursinformationen können vor Beginn der Vorlesung von den Dozenten eingestellt und von den Studierenden abgerufen werden. In Chatrooms tauschen sich die Kursteilnehmer untereinander aus. Lehrkräfte nehmen Vorlesungen auf und stellen sie über die App digital zur Verfügung. Auch alle benötigten Kursmaterialien können online abgerufen werden. Papier ist längst überflüssig. Selbst Klausurergebnisse können Studierende in der App individuell einsehen.

„Wenn die Studierenden aus Singapur nach Deutschland kommen, sind sie sehr überrascht, dass sie ähnliche Services hier nicht nutzen können“, stellt Claudia Finner abschließend fest.

Estland: E-Paradies für In- und Ausländer

„Estland ist ein digitales Paradies – besonders im Bereich E-Government“, sagt Dr. Heiko F. Marten, Leiter des DAAD-Informationszentrum Riga, das für Estland, Lettland und Litauen zuständig ist. „Sie finden mitten im Winter im Wald ein Schild mit WiFi-Hinweis und haben Empfang!“ Wen wundert es da, dass die Einwohner übers Internet so gut wie alle administrativen Dinge von zu Hause erledigen können. Der estnische Personalausweis, den auch Ausländer bekommen, kann als Bibliotheksausweis, als Fahrkarte im öffentlichen Nahverkehr oder auch zur Beantragung von Kindergeld, eingesetzt werden.

An den Hochschulen sind Tablets und Laptops eine Selbstverständlichkeit – so gut wie alles funktioniert papierlos. Der Nachteil: Spricht die Studierenden eine Veranstaltung nicht an, sind sie dank ihrer Laptops gedanklich schnell bei einem anderen Thema.

Seit 2006 bündelt die Seite des Estonian Research Information System (ETIS) Informationen über so gut wie alle Institute, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Forschungsprojekte und -ergebnisse. Die Informationen, die über einzelne Wissenschaftler abrufbar sind, gelten in Estland schon als Alternative zum Lebenslauf – inklusive Publikationsliste. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, neue Informationen einzutragen. Eine Kommission kontrolliert, ob die Angaben stimmen.

Neben Personen können die Nutzer auch nach Schlagwörtern und Publikationen suchen. In einem kleinen Land wie Estland mit 1,3 Millionen Einwohnern bleiben die Wege zu wissenschaftlichen Koryphäen somit kurz. Studierende schicken einfach eine E-Mail an den entsprechenden Forscher oder die Forscherin und bitten um Zusendung der benötigten Publikation. Manchmal ist diese bereits auf dem Portal verlinkt. „Mit Datenschutz und Lizenzrechten nimmt man es weniger genau als in Deutschland. Wenn sich jemand beschwert, wird die Verlinkung eben wieder gelöscht“, berichtet Heiko F. Marten.

Digitale Arbeitsplätze Universität Tartu in Estland
© Blend Images/Getty Images

Digitale Arbeitsplätze: An der Universität Tartu in Estland eine Selbstverständlichkeit

Großbritannien: Mit dem Smartphone Schlange stehen

Großbritannien lebt den digitalen Alltag. Park- oder Taxigebühren, der Cappuccino im Café oder das Ticket für die London Underground zahlen die Briten mit dem Smartphone. „Auch auf dem Campus kommen die Studierenden ohne Bargeld aus – alles was sie brauchen, sind Kreditkarte oder Smartphone“, sagt Dr. Georg Krawietz, Leiter der DAAD-Außenstelle London. An der University of Leeds werden alle Verwaltungs- und Beratungsvorgänge mit Hilfe der App QLess (englisch „queue“: Schlange) abgewickelt. Haben Studierende Fragen zum Auslandssemester, zur Studienfinanzierung oder zur Bewerbung um einen Wohnheimplatz, haben sie die Möglichkeit, nur virtuell Schlange zu stehen. Die Wartezeit verbringen sie dann sinnvoller in der Vorlesung, im Seminar oder in der Mensa. Schickt die App eine Push-Benachrichtigung, dass sie gleich an der Reihe sind, kehren die Studierenden physisch in die Schlange zurück.

Auch die Immatrikulation und die Wahl der Kurse ist in Leeds über das Online-Portal der Universität möglich. Der fertige Stundenplan wird in der Uni-App gespeichert. Kursräume, E-Mail-Adressen der Lehrenden und Prüfungstermine lassen sich gleich mitanzeigen.

Dieser Service ist in Großbritannien kein Einzelfall. Aufgrund der hohen Studiengebühren sehen die Hochschulen die Studierenden als Kunden mit hohen Erwartungen. Sie nutzen technische Innovationen bewusst für mehr Serviceorientierung und grenzen sich so auch im Wettbewerb um Studierende voneinander ab.

Digitale Angebote sind auch bei der Rekrutierung internationaler Studierender unverzichtbar. Im Rahmen der Transnational Education (TNE), die Studierenden weltweit einen Abschluss in Großbritannien ermöglicht, spielt digital basiertes Lernen eine große Rolle. Über 700.000 junge Menschen studieren so außerhalb des Vereinigten Königreichs an britischen Universitäten. 52 Prozent aller TNE-Teilnehmer leben in Asien. „Singapur und Malaysia sind die größten Abnehmerländer und bescheren den britischen Hochschulen damit nicht nur hohe Gewinne, sondern einen Ausgleich für demographisch sinkende Studierendenkohorten“, fasst Georg Krawietz die Vorteile des Programms zusammen.

Susanne Geu  (25. Juli 2018)

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