Internationalisierung: Den gesellschaftlichen Mehrwert vermitteln

Wissenschaft und Forschung müssen nicht nur frei, sondern auch international sein – dieser Grundsatz ist in der Scientific Community unumstritten. Doch weltweit werden wissenschaftsskeptische und nationalistische Stimmen immer lauter. Umso wichtiger wird es zu zeigen, weshalb Wissenschaft und ihre internationale Aufstellung allen nützt.

Autorin: Sabine Giehle (12. November 2019)

Internationale Studierende im Labor
© JackF/AdobeStock

Wissenschaftsfreiheit und die Internationalisierung der Hochschulen sind kein Selbstzweck. Beides ist eingebunden in die Gesellschaft und der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Fähigkeiten, Kontakten und Ressourcen in die Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort „Third Mission“ verstärkt Aufmerksamkeit bekommen. Dass Produkte und Dienstleistungen auch auf Forschung beruhen, dass Hochschulen Forschende, aber auch Fachpersonal für Verwaltung, Wirtschaft und Industrie ausbilden, steht außer Frage. Verstärkt engagieren sich die Hochschulen aber auch direkt an ihrem Standort und arbeiten gezielt und erfolgreich mit Akteuren in der Region zusammen. So bekommt Wissenschaft ein Gesicht und wirkt unmittelbar.

Internationalisierung – eine Erfolgsgeschichte?

Die Internationalisierung der deutschen Hochschulen nahm in den 1980er-Jahren Fahrt auf und gründete auf der Idee, dass weltweite Zusammenarbeit und Partnerschaft für Deutschlands Anerkennung in der Welt und auch für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes wichtig sind. Mittlerweile hat die Internationalisierung eine eigene Dynamik bekommen. Der weltweite Austausch von Forschenden und Studierenden hat sich in den vergangenen Jahren enorm verstärkt. Kaum ein Land, das nicht Wert darauf legt, dass seine Jugend zum Studieren und Forschen in die Welt geht. Weltweit stieg die Zahl der international Studierenden so von knapp drei Millionen im Jahr 2006 auf mehr als fünf Millionen im Jahr 2017. In Deutschland erhöhte sich ihr Anteil an der Studierendenschaft in den vergangenen 20 Jahren von 8,7 auf 13,2 Prozent. Darüber hinaus publizierten hier zwischen 2006 und 2016 mehr als 80.000 internationale wissenschaftliche Autoren und Autorinnen. Deutschland gehört damit zu den attraktivsten Gastländern für diese Gruppen: Die Internationalisierung des Hochschulsystems ist eine Erfolgsgeschichte.

Doch mit der wachsenden Kritik an der Globalisierung, mit zunehmend nationalistischen Gegenbewegungen, Populismus und Wissenschaftsskepsis ist auch die Akzeptanz der Internationalisierung in der Wissenschaft nicht mehr selbstverständlich. Hochschulen kommt daher auch die Aufgabe zu, den Nutzen ihrer Internationalisierungsaktivitäten einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.

Podiumsdiskussion zum Thema

Auf dem GATE-Germany-Marketingkongress 2017 diskutierten Expertinnen und Experten über Hochschulmarketing in Zeiten von Isolationismus und Populismus. Unsere Zusammenfassung finden Sie hier.

Wie Internationalisierung der Gesellschaft nützt

Eigentlich scheint klar zu sein, worin der gesellschaftliche Nutzen liegt: internationale Erfahrung für die eigenen Akademiker, Synergieeffekte durch gemeinsame internationale Forschungsprojekte, interkulturelle Kompetenz und Völkerverständigung. Angesichts von globalen Problemen und Krisen wie dem Klimawandel, Armut, Epidemien, Hunger, Krieg und der damit einhergehenden großen Zahl von Flüchtlingen ist die internationale Zusammenarbeit auch auf wissenschaftlicher Ebene unumgänglich.

Selbst unter rein ökonomischen Gesichtspunkten ist die Gastfreundlichkeit der deutschen Hochschulen gegenüber internationalen Studierenden und Forschenden eine Win-win-Situation. Und das, obwohl Deutschland zu den Ländern gehört, die ihre Studienangebote internationalen Studierenden mit eher niedrigen Studiengebühren oder sogar  kostenfrei offerieren. So zeigt eine Studie der Prognos AG im Auftrag des DAAD von 2013, dass allein die Steuereinnahmen aufgrund des Konsums der internationalen Studierenden zu Beschäftigungseffekten führten, die 22.000 Arbeitsplätzen entsprechen. Und wenn nur jeder dritte Absolvent fünf Jahre in Deutschland arbeitet, resümiert die Untersuchung, übersteigen die volkswirtschaftlichen Vorteile die Kosten der öffentlichen Hand für die Studierenden.

drei Personen sitzen sich am Tisch gegenüber und unterhalten sich - Welcome Centre Südniedersachsen
© Jan Vetter/Georg-August-Universität Göttingen

Erfolgreiche Integration in Wirtschaft und Wissenschaft: Das Welcome Centre Südniedersachsen berät neuzugezogene Fach- und Führungskräfte.

Effekte der Internationalisierung zeigen

Doch häufig reichen weder der Verweis auf die ökonomischen Vorteile, die die internationalen Gäste mitbringen, noch auf die allgemeinen Vorzüge für das öffentliche Wohl aus, um Kritiker umzustimmen: Von Internationalisierung als universell positivem Wert auszugehen, sei nie ganz überzeugend gewesen, erklärt Professor Simon Marginson, Experte für Hochschulbildung an der Universität Oxford in einem Artikel für University World News. Er fordert daher die Entwicklung solider Kennzahlen für den Beitrag der Hochschulbildung zum Gemeinwohl. Gefragt sind Fakten.

Doch eine konsequente Auseinandersetzung mit dem, was die Internationalisierung der Hochschulen in der Gesellschaft bewirkt und bewirken kann, hat gerade erst begonnen. In einem programmatischen Artikel zur Internationalisation in Higher Education for Society (IHES) plädieren die Autoren Uwe Brandenburg, Hans de Wit, Elspeth Jones und Betty Leask dafür, die soziale Komponente der Internationalisierung der Hochschulen systematisch zu berücksichtigen. Gerade diese berge ein noch bei Weitem nicht ausgeschöpftes Potenzial, um bei der Lösung wichtiger sozialer Probleme zu helfen, die lokal und global von Bedeutung sind. Und nicht erst bei der Evaluierung, sondern schon bei der Aufstellung von Programmen solle dies berücksichtigt werden.

IHES-Studie des DAAD

Der DAAD hat das Autorenteam beauftragt zu untersuchen, wie die Hochschulen den gesellschaftlichen Auftrag in ihren internationalen Projekten umsetzen können. Studienleiter Uwe Brandenburg und sein Team möchten dazu herausfinden, „welchen Beitrag die Internationalisierung zur Lösung der großen Gesellschaftsprobleme wie Klimawandel, Flüchtlinge, Radikalisierung, Populismus oder zur Sicherung der Demokratie leisten kann.“

Die Studie soll den Hochschulen unter anderem mit Beispielen aus der Praxis dabei helfen, die soziale Komponente in ihre Internationalisierungsstrategie zu integrieren: Hochschulen, so Brandenburg in einem Interview mit dem DAAD, sollen sich bei jedem Projekt fragen: „Welches gesellschaftliche Problem möchte ich damit lösen helfen? Und inwiefern nutzt mir da meine Internationalisierungskompetenz?“

Best Practices

Im Zuge der Studie werden derzeit gelungene Beispiele für diesen Ansatz recherchiert. Zu ihnen gehört das Welcome Centre für den Göttingen Campus und die Region Südniedersachsen. „An der Universität gab es bereits ein solches Center für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um ihnen den Einstieg zu erleichtern. Dann ist man auf die Idee gekommen, das Gleiche für die Wirtschaft der Region zu tun“, erklärt Brandenburg. Nun finden nicht nur Postdocs und Lehrende, sondern auch Fach- und Führungskräfte, die eine Stelle in der Wirtschaft oder Verwaltung suchen, reichhaltige Informationen auf den Serviceseiten und kompetente Ansprechpersonen. Ermöglicht wird das Projekt durch eine Kooperation der Georg-August-Universität mit 40 Partnern aus Wirtschaft, Kommunen und Verbänden der Region.

Ein anderes Beispiel ist das Pilotprojekt „Students meet Society“ der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Drei Jahre arbeitete die Hochschule gemeinsam mit der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis an der Integration von Studierenden mit internationalem oder Migrationshintergrund durch Engagement. Das Projekt brachte die jungen Menschen mit gemeinnützigen Organisationen zusammen – zu beiderseitigem Nutzen: Die Studierenden sollen durch ihr gesellschaftliches Engagement ihre Kompetenzen zeigen können, Wertschätzung erfahren und damit eine bessere Integration und auch ein besseres Studienergebnis erreichen. Die NGOs profitieren von den speziellen Kenntnissen der Studierenden, mit deren Hilfe sie ihre Dienstleistungsangebote für vielfältiger werdende Nutzer- bzw. Klientengruppen öffnen.

Eine Befragung nach Ende des Projekts belegt, wie positiv die Studierenden ihre neuen Erfahrungen erlebten. So habe ihr Engagement dazu beigetragen, bestehende akademische, berufliche und soziale Kompetenzen und Fähigkeiten außerhalb des Studiums zu erweitern und neue zu erwerben. Das Engagement der Studierenden, so bilanzieren die Projektleiter, trage zudem zur „Verbesserung ihrer Kenntnisse der deutschen Sprache bei und eröffnet ihnen Kontakte in die deutsche Gesellschaft.“

„Aber auch die NGOs haben viel gelernt“, betont Projektleiterin Christine Sattler von der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis. „Sie konnten durch die Zusammenarbeit ihre interkulturelle Kompetenz erweitern. Insbesondere die internationalen Studierenden haben zur interkulturellen Öffnung der Organisationen beigetragen.“

Internatiole Studierende sitzen sich am Tisch gegenüber
© Marcus-Andreas Mohr

Ehrenamtliches Engagement: Das Projekt "Students meet Society" in Halle brachte internationale Studierende und gemeinnützige Organisationen zusammen.

Handreichung für die Hochschulen

Uwe Brandenburg und sein Team werten für die DAAD-Studie weltweit weitere gelungene IHES-Projekte aus. Sie sollen den Hochschulen als Best-Practice-Beispiele dienen, wie Internationalisierung positiv auf die lokale oder globale Gesellschaft ausstrahlt: „Besonders wichtig ist uns, eine Art Typenbildung anhand von Beispielen aus der Praxis zu liefern, die Hochschulen helfen soll, IHES systematisch als Teil der Internationalisierung zu integrieren“, verdeutlicht Uwe Brandenburg das Anliegen. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich Anfang 2020 veröffentlicht und im April auf der IHES Conference 2020 „Making a difference“ vorgestellt.

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