Komplexe Herausforderungen in einer vernetzten Welt: Austausch und Orientierung für Hochschulen

Internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit bringt Chancen, aber auch Risiken mit sich. Das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) berät deutsche Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen bei der Umsetzung ihrer Internationalisierungsstrategien sowie dem Aufbau und der Intensivierung internationaler Hochschulzusammenarbeit.

Autorin: Christina Pfänder (November 2022)

Grafik mit Weltkarte und Slogan des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen
© DAAD

Ein geschärftes Bewusstsein für wachsende Sicherheitsrisiken, aktuelle außenpolitische Spannungen und globale Krisen lassen deutsche Hochschulen seit geraumer Zeit auch bewährte Kooperationen mit internationalen Partnern verstärkt auf den Prüfstand stellen.

"Zwei von fünf Menschen leben in Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit stark eingeschränkt ist. Daher müssen wir uns unserer Verantwortung, wenn wir Studierende, Lehrende und Forschende in autokratisch geführte Länder entsenden, bewusst sein", berichtet beispielsweise Dr. Christine Rubas, Leiterin des International Office der Eberhard Karls Universität Tübingen. "Aufgrund der zahlreichen Krisen in der Welt müssen wir akzeptieren, dass wir nicht mehr in einem angenommenen apolitischen Raum der reinen Völkerverständigung agieren können. Auch in Deutschland und Europa gerät die Meinungsfreiheit und Demokratie zunehmend unter Druck."

Wie Rubas sehen sich Mitarbeitende aller deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in politisch zunehmend volatilen Zeiten mit komplexen und neuen Herausforderungen konfrontiert. Es scheint, dass der große Schatz an Erfahrungswissen aus der konkreten Kooperationspraxis, über den die Hochschulen zweifellos verfügen, häufig allein nicht mehr ausreicht, um Antworten auf die Vielzahl neuer Fragen und Probleme zu finden.

Beispiel Umgang mit China: Expertise zusammenführen und vernetzen

"Internationale akademische Zusammenarbeit ist wichtig und fruchtbar für beide Seiten, aber in vielen Bereichen auch komplexer geworden. Die deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen fragen sich verstärkt, wie sich eigene Interessen und die der jeweiligen Kooperationspartner in Einklang bringen lassen", konstatiert Dr. Friederike Schröder, Leiterin des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi). "Auch mit Blick auf sich verändernde rechtliche Rahmenbedingungen, ungewollten Wissensabfluss oder politische Einflussnahmen wächst das Bedürfnis nach Austausch und Orientierung."

Genau diesen Bedarf möchte KIWi decken: In seinen Angeboten bündelt und vernetzt es Wissen und Expertise, berät Hochschulen individuell, unter anderem zu Fragen des Risiko- und Sicherheitsmanagements oder zu rechtlichen Rahmenbedingungen von Kooperationen. In die Publikationen und Informationsmaterialen sowie die regelmäßigen Dialogveranstaltungen fließt Expertise aus der DAAD-Zentrale und dem weltweiten DAAD-Außennetzwerk ebenso ein, wie das Erfahrungswissen der Hochschulen.

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Wie stark Hochschulen von einer derartigen Wissensbündelung profitieren können, zeigt das Beispiel der Universität Tübingen: Im Austausch mit anderen International Offices der Hochschulen Baden-Württembergs über bestehende Probleme entstand die Idee, einen gemeinsamen Workshop zur Werteentwicklung und der Reflexion eigener Interessen zu organisieren. Mit dabei waren neun Hochschulen des Landes Baden-Württemberg – und Dr. Julia Linder, Referentin für Risiko- und Sicherheitsmanagement im KIWi. Die Expertin stellte den KIWi-Kompass "Keine roten Linien" vor, der ein Kriterienraster präsentiert, um wissenschaftliche Kooperationen unter komplexen Rahmenbedingungen analysieren zu können. Am Beispiel von China beschäftigten sich die Workshop-Teilnehmenden mit der Frage, welche Kriterien für Kooperationen mit internationalen Akteuren gelten sollten, in deren Staaten die Wissenschaftsfreiheit gefährdet ist. "Die Ansätze, die wir aus dem Workshop ziehen konnten, sind sowohl für den Studierendenaustausch als auch für die Forschungs- und institutionelle Zusammenarbeit interessant", so Rubas. "Die Arbeit des KIWI leistet wertvolle Vorarbeit und Begleitung, wenn wir uns über bestimmte Länderkontexte informieren und Entscheidungen für oder gegen eine Kooperation treffen müssen. Dass wir auf diese Ressource zurückgreifen können, dafür bin ich Frau Dr. Linder und dem gesamten Team sehr dankbar."

Mit Normen im Partnerland, die im Widerspruch zu den eigenen Werten stehen, müssen sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dezernats Internationales der Technischen Universität (TU) Darmstadt in ihrem beruflichen Alltag auseinandersetzen. "Unsere Hochschule versteht sich als europäische Technische Universität, die global agiert", erklärt Dr. Jana Freihöfer, Dezernentin Internationales der TU Darmstadt. "Wir bekennen uns zu den europäischen Grundwerten und wollen eine Vorreiterrolle darin einnehmen, durch weltweite Zusammenarbeit zu innovativen, nachhaltigen, ökologischen und sozial gerechten Lösungen im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beizutragen."

Zur Anpassung ihrer Internationalisierungsstrategie holte sich das Team der TU Darmstadt im Herbst 2021 Unterstützung von KIWi: "Wir haben uns zunächst mit einem bilateralen Beratungs- und Informationsgespräch einen Überblick zu den Angeboten von KIWi verschafft", sagt Freihöfer. Im zweiten Schritt fand eine virtuelle Podiumsdiskussion zur Wissenschaftsfreiheit in China statt, in welche Dr. Friederike Schröder sowie die DAAD-Außenstelle Peking ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbrachten. "Diesen Input nutzen wir zur verantwortungsvollen Weiterentwicklung unserer Kooperationen mit China, beispielsweise mit unserer strategischen Partneruniversität, der Tongji University in Shanghai", erklärt Freihöfer.

Informationen, Praxisbeispiele und Austausch

Grafische Ergebnisaufbereitung eines KIWi-Connect-Workshops
© DAAD

Graphic Recording zur KIWi-Workshopreihe "Dual-Use in internationalen Wissenschaftskooperationen" (anklicken zum Vergrößern)

Diese Praxisbeispiele machen es deutlich: Für eine fundierte Risiko- und Chancenabwägung sind umfassende sowie spezifische Informationen ebenso notwendig, wie der stetige Austausch mit anderen. "Wir greifen daher Good Practices aus internationalen Wissenschaftskooperationen auf und machen Lernerfahrungen und Empfehlungen für die Hochschullandschaft zugänglich", erläutert Schröder. "In Kombination mit der breit gefächerten Regionalexpertise des DAAD ermöglichen wir darüber hinaus, die Vor-Ort-Perspektive einzubeziehen und die Interessen der Kooperationspartner im Ausland mitzudenken."

Auf den KIWi-Infoseiten der DAAD-Website finden Hochschulvertretende die daraus entstehende, stetig wachsende Palette an Informationsmaterialien. Neben dem Kompass "Keine roten Linien" sind dort Impulspapiere zu Status Quo und Perspektiven in der Wissenschafts- und Forschungskooperation sowie zahlreiche regionalspezifische Informationen zu ausländischen Hochschulsystemen einsehbar. In Kooperationsleitfäden werden beispielsweise konkrete Tipps für die Kooperationspraxis gegeben und interkulturelle Besonderheiten reflektiert. Jüngste Beispiele sind der Leitfaden zur Kooperation mit akademischen Partnern in Vietnam sowie im Südkaukasus.

Ergänzt wird dieses Angebot durch verschiedene Dialogformate, die sich an ein breites Publikum richten. KIWi Policy Talks bieten Vernetzung und Austausch mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik und beleuchten aktuelle Entwicklungen im Ausland und deren Implikationen für Wissenschaftskooperationen. In einem weiteren Format, den KIWi Labs, diskutieren Teilnehmende Trends und Themen der internationalen Zusammenarbeit im kleinen Kreis, um gemeinsam an innovativen Lösungen zu arbeiten.

Reputationsmanagement und Kommunikation

Es ist nicht von der Hand zu weisen: Die Welt, in der Hochschulen kommunizieren ist zunehmend geprägt von komplexen, einander überlagernden Krisen. Doch auch Hochschulen selbst sind vielschichtige Institutionen, in denen diverse, teils gegenläufige Interessen, unterschiedliche Akteure und Erwartungen aufeinandertreffen. Vor diesem Hintergrund ist neben einem ausgeprägten Wertebewusstsein und verantwortungsvollen Risikomanagement auch die aktive, planvolle Kommunikation ein wichtiger Baustein, um Krisenresilienz und das Reputationsmanagement an den Hochschulen zu stärken.

Eine Zusammenarbeit zwischen GATE-Germany und KIWi schafft hier wertvolle Synergien: Als Konsortium für internationales Hochschulmarketing im DAAD bietet GATE-Germany den deutschen Hochschulen Wissen und Instrumente, um sich auf dem internationalen Bildungsmarkt überzeugend zu präsentieren und damit weltweit passende Zielgruppen zu erreichen. "Viele Themen, die die Hochschulen mit Blick auf ihre Internationalisierung beschäftigen, spielen sowohl für das internationale Marketing als auch für Kooperationen eine Rolle – beispielsweise die aktuellen politischen Rahmenbedingungen in einem bestimmten Partnerland", erklärt Stephanie Stromeyer, PhD, Leiterin der Stabsstelle in der Geschäftsstelle von GATE-Germany.

Dass der DAAD mit KIWi eine zentrale Stelle geschaffen habe, die zu den unterschiedlichsten Aspekten erfolgreicher Kooperationen berät, spezifische Länderinformationen bereitstellt und außenwissenschaftspolitische Themen aufgreift, sei aus ihrer Sicht eine große Bereicherung. "Internationales Hochschulmarketing und Kooperationsmanagement greifen ineinander: Eine Hochschule, die bereits erfolgreich Studierende aus einem bestimmten Land rekrutiert, möchte diese Beziehung vielleicht durch Kooperationen institutionalisieren. Andersherum machen internationale Partnerschaften eine Hochschule attraktiver und können dabei helfen, weitere internationale Zielgruppen zu erschließen", so Stromeyer. 

Hinsichtlich der Weiterentwicklung und Planung von Marketingaktivitäten der deutschen Hochschulen ergänzen sich die Aktivitäten von KIWi und GATE-Germany daher ideal. Und da GATE-Germany bereits seit mehr als 20 Jahren besteht, dienen gut ausgebaute Kommunikationswege zu Hochschulmitarbeitenden dazu, deren Themenwünsche aufzunehmen und in etablierte Formate einzuspeisen. "Bereits jetzt bindet GATE-Germany KIWi in Veranstaltungen wie die DAAD-Netzwerkkonferenz und Informationsangebote ein. In den kommenden Jahren werden wir unsere gemeinsamen Aktivitäten weiter ausbauen, um die Hochschulen noch stärker unterstützen zu können", sagt Stromeyer und ergänzt: "Wer sich mit Marketingfragen beschäftigt, weiß, dass eine gute Reputation Gold wert ist und Hochschulen enorm dabei hilft, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Ein bewusstes Abwägen von Chancen und Risiken in Hochschulkooperationen gewinnt daher auch vor diesem Hintergrund an Bedeutung."

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