Usability und User Experience: von Nutzererfahrungen lernen

Um ein Produkt oder einen Dienst erfolgreich auf dem Markt zu positionieren, müssen Erfahrungswerte von Nutzern evaluiert werden. Hochschulen haben ähnliche Möglichkeiten.

Mann sitzt am Tisch mit Laptop
© garagestock/shutterstock

Die Einschätzung von Kunden und Kaufinteressenten, ihre Empfindungen und mögliche Ausschlusskriterien zählen zu den für die Arbeit von Marketingabteilungen wesentlichen Informationen. Auch um internationale Studienbewerber bemühte Hochschulen können sich gezielt darüber informieren, wie ihre Interessenten mit dem universitären Beratungsangebot umgehen und wo Verbesserungspotenziale liegen. Besonders ergiebig sind derartige Tests, wenn Zielgruppen aktiv in die Gestaltung der Marketinginstrumente einbezogen werden.

Usability und User Experience

Für die Erhebung von Nutzerwerten spielen zwei Begriffe eine wesentliche Rolle. Usability (Nutzbarkeit) beschreibt objektiv, wie gebrauchstauglich beziehungsweise benutzerfreundlich eine Anwendung oder ein Produkt ist. Die User Experience (Nutzererlebnis) ist weiter gefasst, bezieht subjektive Geschmacks- und Gefühlswahrnehmungen mit ein und bezeichnet somit alle Verhaltensweisen und Gefühle einer Person im Umgang mit einem Produkt oder einem Dienst. Auch Erfahrungen vor und nach der Nutzung gehören zur User Experience:  So hat ein Autokäufer, ohne je in einem Porsche gesessen zu haben, ein bestimmtes Bild der Marke im Kopf. Die User Experience entscheidet über die Einstellung des Nutzers zum Produkt.

Methoden der Erhebung

Die Bedürfnisse einer Zielgruppe lassen sich feststellen, indem man prüft, auf welche Weise und mit welchen Einschränkungen die Nutzer ihr Ziel erreichen. Für die Erhebung und Untersuchung von User Experience und Usability stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl: Nutzerumfragen prüfen quantitativ die Zufriedenheit mit einem Produkt oder Dienst. Qualitative Usability-Tests stellen fest, wie sich Kunden während der Nutzung verhalten. Bei interaktiven Fokusgruppen-Interviews liefern die Aussagen der Nutzer wichtige Informationen über deren Motive und Ziele.

Für Hochschulen können alle drei Methoden Aufschluss über die Bedürfnisse internationaler Studieninteressenten bei der Vorbereitung auf ein Studium in Deutschland geben. Im Fokus steht bei der Analyse oft die Benutzerfreundlichkeit hochschuleigener Websites, digitaler Informationsangebote und spezifischer Bewerbungstools.

Personen testen Benutzerfreundlichkeit am Computer
© valentinrussanov/GettyImages

Tests mit der Zielgruppe geben Aufschluss über die Benutzerfreundlichkeit der Hochschulwebsite.


Die Befragung/Umfrage

Mithilfe eines Fragebogens werden die Erfahrungen einer Zielgruppe mit der Nutzung eines Angebots festgestellt. Die daraus errechneten Durchschnittswerte liefern statistisch fundierte und repräsentative Daten über die Kunden, ihre Zufriedenheit und Nutzungsgewohnheiten. Richard Bretschneider, Berater bei dem auf User Experience spezialisierten Beratungsunternehmen eresult, sagt: „Eine klare, mit Zahlen belegbare Auswertung ist für spätere Handlungsempfehlungen relevant.“

Anwendungsgebiete für Hochschulen: zum Beispiel als Grundlage für den Relaunch eines digitalen Informationsangebots geeignet. Die Befragung sollte sich in diesem Fall an die potenziellen Nutzer (Studierende, nationale und/oder internationale Studieninteressierte, Wissenschaftler, Mitarbeiter, Öffentlichkeit etc.) richten, die zum Beispiel in den sozialen Netzwerken, per E-Mail, Anzeigen oder Newsletter, an Schulen oder auf Messen zur Teilnahme motiviert werden können. Neben der Auswahl der Befragten spielt die Formulierung passender Fragen eine wichtige Rolle.

+ valide Daten: je mehr Teilnehmer, desto aussagekräftiger die Erhebung

- aufwendige Auswertung, Kontrolle der Aussagen in der Praxis nicht möglich


Der Usability-Test

Auf einer Website kann sich die Nutzererfahrung eines Studieninteressenten mit jedem neuen Klick verändern. Um die Benutzerfreundlichkeit von Websites, Geräten und Applikationen zu prüfen, lässt sich ihre Situation deshalb besonders gut in einem Usability-Test nachstellen. Eine Reihe spezifischer Aufgaben wird von den Teilnehmern abgearbeitet, während Experten die Schritte auf dem Bildschirm beobachten, um anschließend eine objektive Aussage zu treffen. Wo wird zuerst geklickt? Nach welchem System beginnen Bewerber ihre Suche? Welche Elemente lenken ab?

Auf diese Weise wird nicht nur die Effektivität (Genauigkeit und Vollständigkeit) des Webangebots, sondern auch seine Effizienz, also die Geschwindigkeit, mit der die Suchenden an ihr Ziel gelangen, geprüft. Wenn die Testpersonen gefilmt werden, lässt sich aus ihren Schritten noch nach dem Test eine Vielzahl an Erkenntnissen ableiten.

Eine den Usability-Test ergänzende Technik ist das Eye Tracking, bei dem die Augenbewegungen von mehreren Testpersonen auf dem Bildschirm verfolgt werden.

Anwendungsgebiete für Hochschulen: zum Beispiel für die Anpassung eines digitalen Angebots auf internationale Bewerber geeignet. Testpersonen aus den für eine Hochschule relevanten Ländern werden eingeladen, um typische Aufgaben im Umgang mit der Website auszuführen (Bewerbungsseite/ Masterstudiengänge im Bereich XY finden, Informationen zur Wohnungssuche einholen). Nach Erfahrung der Spezialisten bei eresult sind sechs bis acht Probanden pro Zielgruppe (in diesem Fall pro relevantes Herkunftsland) nötig, um ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten, da die Erwartungshaltungen in unterschiedlichen Kulturen oft völlig verschieden sind. Die Suche nach passenden Probanden kann zum Beispiel auf Hochschulmessen, an Partnerhochschulen und in den sozialen Netzwerken erfolgen. Die Teilnehmer sollten das Bewerbungsverfahren noch nicht durchlaufen haben und bei den Aufgaben „laut denken“, d.h. ihre Nutzererfahrung kommentieren. 

+ auch Probleme, die den Nutzern selbst gar nicht auffallen, werden im Praxistest aufgezeigt, die davon entstandenen Videos bieten eine valide Basis für Verbesserungsvorschläge

- Herausforderung, passende Probanden für einen Test vor Ort zu finden


Das Fokusgruppen-Interview

Bei dieser Methode werden Nutzer in einer Diskussion nach ihrer Meinung zu einem bestimmten Thema gefragt. Im Verlauf des Gesprächs beschäftigen sich die Teilnehmer intensiv mit dem Thema, reflektieren und machen Verbesserungsvorschläge.

Anwendungsgebiete für Hochschulen: für die Entwicklung/Bewertung neuer Ideen geeignet. Die Runde sollte von Experten moderiert werden und kann je nach Fokus homogen (z.B. internationale Studierende) oder heterogen (z.B. Eltern, Studierende, Bewerber) zusammengesetzt sein.

+ gewährt Einblicke in die Denk- und Handlungsmuster der Nutzer

- nicht repräsentativ, subjektiv


Umsetzung

Die Tests und Befragungen zur Nutzererfahrung sollten, um valide Ergebnisse zu gewährleisten, von Experten geplant und ausgeführt werden. Bei einfacheren Fragestellungen zur Effektivität und Effizienz digitaler Angebote können auch digitale Analysedienste wie Google Analytics, Piwik oder etracker genutzt werden. Sie geben Auskunft über Klicks, Bewegung und Verweildauer auf Seiten, darüber hinaus aber wenige Informationen zur Benutzerfreundlichkeit einer Anwendung.


Erfahrungen an der Hochschule Worms

Die Hochschule Worms ließ ihre Homepage 2016 von einem studentischen Projektteam des Studiengangs Angewandte Informatik evaluieren und konzeptionell überarbeiten. Acht Wochen lang organisierte das „E-Team“ Usability Tests und Befragungen mit drei Zielgruppen (Studieninteressierte, Studierende, Mitarbeiter). Erster Schritt war ein Brainstorming der am Projekt beteiligten Wissenschaftler, deren Hypothesen daraufhin in Interviews mit den Fokusgruppen besprochen wurden. Anschließend wurden die Ergebnisse gemeinsam im Hinblick auf eine übersichtlichere Darstellung der Website diskutiert. Die neue Struktur der Landingpage setzten die Wissenschaftler mithilfe einer Testseite um, die Vergleichswerte zur Navigation auf der alten Website liefern sollte.

Zur Überprüfung der Neuerungen wurden 16 Probanden ausgewählt - vier aus der Zielgruppe der Studieninteressierten und je vier Studierende aus den drei Fachbereichen der Hochschule. Mit diesen führte das E-Team einen Usability-Test durch, der aus einer Reihe quantitativ angelegter Aufgaben und einer qualitativen Befragung bestand. Die Ergebnisse wurden ausgewertet, diskutiert und den verantwortlichen Hochschulvertretern mit Handlungsempfehlungen präsentiert. In künftigen Befragungen könnten weitere Zielgruppen (z.B. Wissenschaftler, Unternehmen) hinzugezogen werden. „Die umfangreiche Evaluierung wird uns auch in Zukunft als Grundlage für Verbesserungen dienen“, sagt Professor Dr. Werner König, einer der Projektleiter.

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Video: studentisches Projekt zur Verbesserung der User Experience der Seite der Hochschule Worms
HS Worms
© Florian Schmitt/HS Worms

Die Untersuchungsergebnisse wurden den verantwortlichen Hochschulvertretern der HS Worms mit Handlungsempfehlungen präsentiert.

Elena Witzeck (18. Dezember 2017)

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