Hochschulen im demografischen Wandel: Von erfolgreichen Beispielen lernen
Autorin: Gunda Achterhold (11. März 2020)
In Deutschland studieren heute mehr junge Menschen denn je. Aufgrund regionaler Abwanderung und niedriger Geburtenraten müssen sich jedoch einige Hochschulstandorte schon jetzt auf sinkende Studierendenzahlen einstellen, wie eine Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigt. Bereits an 41 von 263 untersuchten Hochschulen geht der Anteil einheimischer Studierender zurück. Ein Trend, der sich angesichts der demografischen Struktur in Deutschland in den kommenden Jahren noch verstärken wird.
Studieren, um zu bleiben
Was kommt nach dem Studium? Hochschulen, die mit sinkenden Studierendenzahlen zu kämpfen haben, vereint ein Ziel: Sie sind auf der Suche nach internationalen Studierenden, die zumindest mittelfristig in Deutschland bleiben wollen. Denn in Zeiten des demografischen Wandels ist Internationalisierung immer auch ein regionaler Faktor. Der DAAD entwickelt aktuell Rekrutierungsveranstaltungen, die dem Rechnung tragen, und unterstützt deutsche Hochschulen darin, geeignete Zielregionen zu identifizieren. Den Anfang macht eine Webinar-Reihe mit Bezug auf Länder, in denen die Bereitschaft zu einem längeren Aufenthalt in Deutschland besonders ausgeprägt ist. Angesprochen werden Hochschulen, die studienvorbereitend oder – begleitend Deutschunterricht anbieten, eng mit der lokalen Wirtschaft zusammenarbeiten und Career Services für den Übergang in den Arbeitsmarkt anbieten.
Diesem Wandel stehen Hochschulen jedoch nicht machtlos gegenüber. Die Anwerbung und Bindung ausländischer Studierender dient nicht nur der Internationalisierung der deutschen Hochschulen, sie kann auch ein Weg sein, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung abzufedern und ihre Studierendenzahlen zu sichern. Ein wesentliches Ergebnis der SVR-Studie: Hochschulen, die in ihrem Marketing ebenso kreative wie passgenaue Angebote für internationale Zielgruppen entwickeln, verzeichnen einen deutlichen Zuwachs an Studierenden aus dem Ausland. Diese stellen auch dort nach wie vor nur einen Bruchteil der Studierendenschaft, den Schwund gleichen sie jedoch zumindest teilweise aus und tragen zu einer höheren internationalen Sichtbarkeit der Standorte bei.
Stolpersteine umgehen, den Studienzugang flexibler gestalten
Der SVR versteht seine Analyse als einen Blick in die Zukunft: Bereits in der Praxis bewährte Ansätze könnten in den kommenden Jahren auch für viele andere Hochschulen wichtig werden, stellen die Autoren fest. Ihre Untersuchung zeigt, wie Hochschulen systemische Hürden umgehen, beispielsweise indem sie den Hochschulzugang flexibler gestalten und die Hochschuleingangsphase stärker strukturieren, um der hohen Zahl von Studienabbrüchen entgegenzuwirken. In der Ansprache von Studieninteressierten profitieren auch Standorte mit sinkenden Studierendenzahlen vom guten Ruf der deutschen Hochschulbildung und den im internationalen Vergleich niedrigen Studiengebühren.
Zugleich erschweren bürokratische Stolpersteine wie komplizierte Visa-Regelungen oder unübersichtliche Zulassungsvoraussetzungen den Zugang. Insbesondere kleinere Hochschulen gehen daher verstärkt dazu über, potenzielle Interessenten dort abzuholen, wo sie schon sind: Sie kooperieren mit Sprachschulen im Inland, an denen sich Studieninteressierte auf ein Studium vorbereiten. Andere entwickeln direkt eigene Sprach- und Vorbereitungskurse, die auf die Hochschule aufmerksam machen und Teilnehmende zugleich an den Standort binden.
So macht die Universität des Saarlandes sehr gute Erfahrungen mit dem Vorbereitungsstudium VSI+MINT, das Interessenten seit 2018 auch ohne anerkannte Hochschulzugangsberechtigung oder Deutschkenntnisse ein Studium ermöglicht. Wer das dreisemestrige Probestudium besteht, erhält automatisch eine Zugangsberechtigung zu dem naturwissenschaftlich breit aufgestellten Studiengang BachelorPlusMINT. Die Evaluierung des ersten Jahrgangs ist aktuell noch nicht abgeschlossen, doch die Rückmeldungen seien ausgesprochen positiv, beobachtet Dr. Johannes Abele, Leiter des International Office. Die UdS ist traditionell sehr international ausgerichtet, in den letzten Jahren entwickelte sie darüber hinaus viele neue, auf internationale Zielgruppen zugeschnittene Angebote wie die European School of Materials. In Vorbereitung sind auch internationale Bachelorstudiengänge in den Ingenieurwissenschaften. Mit Erfolg: Während der Anteil Studierender aus dem Saarland leicht sinkt, steigt die Zahl der Internationals seit Jahren kontinuierlich an.
Career Services: Erwartungen dürfen nicht enttäuscht werden
International Student Barometer 2018/19
Einblicke in die Erwartungen, Entscheidungen und das Informationsverhalten von international mobilen Studierenden und Doktoranden bietet Ihnen das International Student Barometer (ISB). Die Ergebnisse der Befragung an deutschen Hochschulen 2018 sind in unserer Reihe Marketingwissen Kompakt erschienen.
“Englisch- und französischsprachige Studiengänge sind ein gutes Mittel, um fähige junge Menschen an eine Hochschule zu holen”, betont Abele. Die UdS bewirbt sie auch über internationale Partnerschaften. Der Wunsch, nach dem Studium in Deutschland zu arbeiten, ist bei vielen der in Saarbrücken Ankommenden ausgeprägt, wie die Ergebnisse des International Student Barometer 2018/19 (ISB) zeigen. “Der Bedarf an Unterstützung und Beratung beim Übergang in den Beruf ist groß”, stellt IO-Leiter Abele mit Blick auf die großangelegte Umfrage unter Studierenden und Doktoranden fest. “Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Erwartungen derer, die bereits hier sind, auch erfüllt werden.” Vor allem mangelnde Deutschkenntnisse zählen zu den großen Hürden auf dem Weg in den regionalen Arbeitsmarkt. “Absolventen, die darauf nicht vorbereitet sind, haben Probleme einen Job zu finden”, so Abele. Da freiwillige Angebote in der Vergangenheit nicht konsequent angenommen wurden, sind verpflichtende Kurse in deutscher Sprache inzwischen auch Teil der internationalen Studiengänge an der Universität des Saarlandes.
Von einem Brückenschlag zwischen Hochschule und Arbeitswelt profitieren deutsche Studierende letztlich ebenso wie ihre internationalen Kommilitonen. Als Servicethema im Hochschulmarketing führte der Übergang vom Studium in den Beruf dennoch lange ein Schattendasein. Ein Versäumnis, denn karrierebezogene Motive wie die Hoffnung auf gute Berufschancen entscheiden für die große Mehrheit der internationalen Studierenden bereits die Wahl des Gastlandes. Hochschulen, die effektive Maßnahmen zur Steigerung der “Employability” ihrer Absolventen – also ihrer Beschäftigungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt – etablieren und damit gezielt werben, sind im Vorteil. Das zeigen die Ergebnisse des International Student Barometer überraschend klar. Aktuell fühlen sich jedoch nur 63 Prozent der internationalen Studierenden in Deutschland von ihrer Hochschule gut auf ihre Karriereziele vorbereitet.
Die Zeit nach dem Studium von Anfang an mitdenken
Dabei ist ein regionales Übergangsmanagement, das Studierenden klare Wege in den Arbeitsmarkt aufzeigt, auch im Interesse der regionalen Wirtschaft. Denn gerade in den vom Studierendenrückgang besonders betroffenen Regionen fehlen immer mehr Fachkräfte. Ein gelungenes Beispiel für ein breites Bündnis von Hochschulen, Unternehmen, kommunaler Wirtschaftsförderung, Arbeitsvermittlung und regionalen Partnerorganisationen ist die jährliche Informationsveranstaltung “Your future in Stuttgart – Deine Zukunft in Stuttgart”. Im Stuttgarter Rathaus kommen internationale Studierende mit Unternehmen aus der Region in Kontakt und können sich direkt vor Ort in Workshops über Themen wie Aufenthaltsrecht, Krankenversicherung und ihre Chancen auf dem lokalen Arbeitsmarkt informieren. “Wir wollen schon den Erstsemestern vermitteln, dass sie willkommen sind”, erklärt Organisatorin Susann Neupert von der Abteilung Wirtschaftsförderung. Verbunden mit dem Hinweis, sich vielleicht schon jetzt einmal Gedanken über eine mögliche Zukunft in Deutschland zu machen.
Die Botschaft kommt an, das zeigen Feedbackkarten, die Teilnehmende am Ende der Veranstaltung ausfüllen. Sie sind nach der Veranstaltung besser informiert, haben ein gutes Gefühl und weniger Ängste. Besonders beliebt sind Gesprächsrunden mit ehemaligen Studierenden aus dem Ausland, die geblieben sind und von ihren eigenen Erfahrungen erzählen. “Wir suchen gezielt Testimonials aus, die verschiedene Karriereoptionen repräsentieren und auf ihrem Weg zum Teil große Hürden überwinden mussten”, so Neupert. “Sie zeigen, dass man es trotz aller Anfangsschwierigkeiten schaffen kann – und dass Berufseinsteiger selbst bei großen internationalen Konzernen unbedingt Deutsch können müssen!”
Alle Netzwerkpartner bewerben die Veranstaltung über ihre jeweils eigenen Kanäle, auch das Studierendenwerk ist dabei ein wichtiger Partner. “Über die Online-Registrierung verfolgen wir, wer von welchen Hochschulen angemeldet ist und wo die Resonanz noch ausbaufähig ist”, so Neupert. “Darüber steuern wir, welche Marketingmaßnahmen intensiviert werden müssen und sprechen die Hochschulen gezielt an.” Diese Hinweise nehme niemand krumm, betont die Referentin. “Wir sind ein Netzwerk engagierter Leute, die sich kennen und auf einer sehr persönlichen Ebene vertrauensvoll miteinander arbeiten – das ist der Kern unseres Erfolges.”
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