"Summer Schools sind ein ideales Einstiegsformat."
Dieses Interview ist Teil unseres neuen Länderprofils Kanada, das Ihnen umfassende Informationen und Tipps zum kanadischen Hochschulmarkt bietet.
Autorin: Clara Krug (August 2025)
Herr Kleiner, warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht für deutsche Hochschulen, in Kanada aktiv zu sein?
Dafür gibt es mehrere gute Gründe. Erstens: Deutschland genießt in Kanada einen exzellenten Ruf als Wissenschaftsstandort, und die deutschen Hochschulen sind daher insbesondere bei Master- und Promotionsstudiengängen gefragte Partner. Dieser gute Ruf erleichtert es, im Land Kooperationen aufzubauen, Studierende zu gewinnen oder gemeinsame Programme zu etablieren – Kanada ist offen für deutsche Partner, weil man deren Qualität kennt und schätzt.
Zweitens: Kanadische Bachelorabsolventinnen und -absolventen bringen solide fachliche Qualifikationen mit. Hinzu kommen ihre Erfahrungen in der stark multikulturell geprägten kanadischen Gesellschaft, die sie in internationalen Kontexten oft sehr gut einbringen können.
Drittens: Die Forschungskooperationen zwischen Deutschland und Kanada haben sich über Jahrzehnte bewährt. Sie sind stabil, vertrauensvoll und von hoher Qualität – ein großer Pluspunkt in einer Zeit, in der Verlässlichkeit für viele Hochschulen entscheidend ist.
Welche fachlichen und sprachlichen Qualifikationen können deutsche Hochschulen von kanadischen Studierenden erwarten?
Eine pauschale Einschätzung dazu ist gar nicht so leicht, weil Bildung in den kanadischen Provinzen unterschiedlich geregelt wird. Die Highschool-Abschlüsse werden in Deutschland größtenteils nicht als äquivalent zum Abitur anerkannt, es fehlen häufig spezifische Fächerkombinationen, insbesondere eine zweite Fremdsprache. Muttersprachliches Englisch ist selbstverständlich. In Québec spielt Französisch eine größere Rolle, außerhalb der Provinz jedoch kaum. Deutschkenntnisse sollten deutsche Hochschulen realistischerweise nicht erwarten.
Generell lässt sich beobachten, dass im kanadischen Bildungssystem im Vergleich zum deutschen einige Kompetenzen noch nicht an der Highschool, sondern im ersten oder zweiten Jahr des in der Regel vierjährigen Bachelorstudiums erworben werden. Das gilt sowohl fachlich als auch in Bezug auf eigenverantwortliches Lernen. Nach Abschluss des Bachelors sind kanadische Studierende aber sehr gut auf ein weiterführendes Studium in Deutschland vorbereitet.
Wie groß ist das Interesse kanadischer Studierender an Deutschland – und wie wird es sich Ihrer Einschätzung nach entwickeln?

Tag der offenen Tür an der McGill University in Montreal: Viele Kanadierinnen und Kanadier entscheiden sich bewusst für ein Studium in ihrem Heimatland.
Das Interesse ist grundsätzlich vorhanden, bleibt aber insgesamt überschaubar. Die Mehrheit zieht es weiterhin in englischsprachige und kulturell ähnlichere Länder wie die USA, Großbritannien, Australien oder Neuseeland. Deutschland nimmt allerdings unter den nicht anglophonen Ländern inzwischen die vorderste Position ein. Im internationalen Vergleich ist die generelle Auslandsmobilität kanadischer Studierender aber nach wie vor gering. Viele entscheiden sich bewusst für ein Studium in Kanada selbst, da die eigenen Hochschulen einen ausgezeichneten Ruf genießen und internationale Erfahrungen eher über kurze Auslandsaufenthalte oder im oft multikulturellen Umfeld vor Ort gesammelt werden. Hinzu kommen finanzielle und organisatorische Hürden, die meiner Einschätzung nach langfristig eher zu einer Stagnation der Zahlen beitragen dürften.
Dennoch gibt es interessante Perspektiven für deutsche Hochschulen: Gerade kürzere, thematisch fokussierte Formate wie Summer Schools gewinnen zunehmend an Bedeutung. Am besten kompatibel mit den kanadischen Semesterzeiten sind Angebote mit einer Dauer von vier bis acht Wochen im Zeitraum zwischen Mai und August. Solche Programme bieten kanadischen Studierenden einen niedrigschwelligen Zugang zu Deutschland, vermitteln erste akademische und kulturelle Einblicke und lassen sich gut vermarkten. Auch studien- oder forschungsbezogene Praktika in Deutschland sind attraktiv. Im Rahmen von Kooperationsabkommen mit kanadischen Hochschulen lässt sich der ungleichen Austauschnachfrage begegnen, indem zum Beispiel den deutschen Studierenden Semesteraufenthalte an der Partnerhochschule, den kanadischen hingegen Sommerkurs- oder Praktikumsplätze in Deutschland angeboten werden.
Was macht Deutschland aus Ihrer Sicht für kanadische Studierende attraktiv?
Deutschland punktet vor allem durch seine exzellente Hochschulbildung, besonders der ingenieur- und naturwissenschaftliche Bereich hat in Kanada einen ausgezeichneten Ruf. Dazu kommen attraktive Studienbedingungen: keine oder nur sehr geringe Studiengebühren und der Standort mitten in Europa mit besten Reise- und Vernetzungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt hat sich das Image Deutschlands in den vergangenen Jahren stark gewandelt.
Wie kann eine deutsche Hochschule kanadische Studieninteressierte von sich überzeugen?
Diese Entscheidung orientiert sich vor allem am konkreten Studienangebot. Inhalte, der genaue Aufbau und Ablauf des Studiums, Infrastruktur und Betreuung, Praxisbezug und Karriereaussichten sind ausschlaggebend. Interessant sind natürlich vor allem englischsprachige und für Studierende aus Québec auch französischsprachige Studiengänge. Dass deutsche Hochschulen diese anbieten, ist in Kanada noch immer zu wenig bekannt.
Hochschulrankings spielen eine geringere Rolle als in den USA. Immer wichtiger wird das Thema Employability: Welche Chancen habe ich nach dem Abschluss auf dem Arbeitsmarkt, auch auf dem deutschen? Hochschulen, die hier Kooperationen mit Unternehmen vorweisen können, sollten das unbedingt kommunizieren. Ein anderer Tipp: Das Deutschlandbild ist in Kanada sehr fokussiert auf Berlin. Wichtig für Hochschulen in anderen Regionen ist daher, auf die vielfältigen Vorteile ihres Standorts und die Lebensqualität außerhalb der bekannten Städte hinzuweisen.
Über welche Kanäle erreichen deutsche Hochschulen kanadische Studieninteressierte am besten?
Digitale Präsenz bleibt der Schlüssel, erst recht in einem so großen Land wie Kanada. Eine gut strukturierte, übersichtliche Hochschul-Website in möglichst muttersprachlichem Englisch ist dabei der wichtigste Baustein, gefolgt von Social Media. Facebook ist in Kanada insgesamt immer noch der wichtigste Kanal, wobei die jüngeren Zielgruppen immer stärker Instagram oder TikTok nutzen. Es ist sinnvoll, alle drei Plattformen zu bespielen, aber eine Herausforderung, darüber wirklich die passenden Studieninteressierten zu erreichen. Unserer Erfahrung nach funktionieren vor allem Videoformate, in denen sowohl aktuelle Studierende oder Alumni und Alumnae als auch Lehrende das konkrete Studienangebot vorstellen. Ebenso sind persönliche Kontakte zu deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Kanada, zu Studierendenvereinen oder Alumninetzwerken wertvoll – sie können als Multiplikatoren wirken, erfordern aber langfristige Pflege.
Gibt es Unterschiede in der Ansprache von Bachelor-, Master- oder Promotionskandidatinnen und -kandidaten?

“Study and Go Abroad Fair” in Toronto: Oft informieren sich hier Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihren Eltern über ein Studium in Deutschland.© DAAD
Ja, diese Unterschiede sind wesentlich. Marketingmaßnahmen für Bachelorstudiengänge außerhalb von strukturierten Kooperationsprogrammen lohnen sich für deutsche Hochschulen in Kanada kaum: Der direkte Hochschulzugang ist für die meisten kanadischen Schulabgängerinnen und -abgänger nicht möglich und auch die Zulassungsvoraussetzungen der Studienkollegs stellen vor allem aufgrund der geforderten Deutschkenntnisse eine Hürde dar.
Im Master- und Promotionsbereich ist das Potenzial deutlich größer – hier kommt es aber auf die richtige Ansprache an. Besonders Erfolg versprechend sind wie bereits erwähnt Kontaktpersonen an kanadischen Hochschulen, die gezielt auf Programme hinweisen können. Große Fachkongresse wie in den USA gibt es hingegen in Kanada kaum und Hochschulmessen werden meist von Schülerinnen und Schülern besucht. Einzelne Universitäten richten jedoch Karrieremessen aus, bei denen ein Auftritt mitunter möglich und lohnenswert ist.
Welche Rolle spielen Eltern bei der Studienwahl kanadischer Studierender?
Das variiert stark. Besonders bei sogenannten “New Canadians”, also Familien mit Wurzeln in Indien oder China, sind Eltern oft sehr aktiv in den Entscheidungsprozessen. Für diese Gruppen sind auch Fragen der Sicherheit wichtig. Politische Entwicklungen – zum Beispiel in Bezug auf Rechtsextremismus in Deutschland – werden durchaus aufmerksam verfolgt.
Was sind die meistgestellten Fragen in Ihren Beratungen zum Studium in Deutschland?
Immer wieder drehen sich die Fragen um drei zentrale Punkte: Kann man in Deutschland Medizin studieren? Gibt es englischsprachige Studiengänge? Welche Stipendien werden angeboten? Fachlich stehen Fragen zu MINT-Programmen im Fokus.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Rekrutierung in Kanada?
Die größte Hürde sind die bereits erwähnten strukturellen Unterschiede zwischen den Bildungssystemen in Kanada und Deutschland und die im internationalen Vergleich niedrige Motivation kanadischer Studierender für längere Auslandsaufenthalte.
Die strukturellen Hindernisse betreffen sowohl die Hochschulzulassung als auch die Organisation des Studiums. In Deutschland werden nur die Abschlüsse der Sekundarschulen in Ontario sowie der Collèges d’enseignement général et professionnel (Cégeps) in Québec als Hochschulzugangsberechtigung anerkannt – und auch für diese gelten jeweils zusätzliche Bedingungen. Ein Semesteraufenthalt in Deutschland während des Studiums wird durch die unterschiedliche Einteilung des akademischen Jahres erschwert. Das Herbstsemester in Kanada beginnt meist in der ersten Septemberwoche, Unterrichtsende ist in der Regel Anfang Dezember. Das zweite Semester beginnt im Januar und dauert bis Ende April. Im “Summer Term” zwischen Mai und August werden zusätzliche Lehrveranstaltungen angeboten.
Hinzu kommt: Viele Kanadierinnen und Kanadier finanzieren ihr Studium selbst. Ein längerer Auslandsaufenthalt wird daher auch als finanzielles Risiko wahrgenommen, zumal die Studiengebühren an der kanadischen Universität während eines Auslandssemesters in der Regel weiterbezahlt werden müssen. Wenn unklar ist, welche Leistungen anerkannt werden und möglicherweise der Nebenjob oder die Wohnung aufgegeben werden müssen, sind das zusätzliche Hinderungsgründe.
Gibt es kulturelle Besonderheiten oder typische Dos and Don’ts im Umgang mit kanadischen Studieninteressierten?
Eigentlich nicht. Kanadierinnen und Kanadier sind pragmatisch, höflich, an Qualität orientiert. Sie schätzen Authentizität und klare Informationen mehr als überzogenes Marketing. Übertriebene Versprechen wirken eher abschreckend.
Wie sieht es mit den Karriereabsichten aus? Wollen kanadische Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium in Deutschland bleiben?
Das Interesse, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen, wächst spürbar – wiederum vor allem im MINT-Bereich. Einige kanadische Absolventinnen und Absolventen schätzen die Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt derzeit besser ein als in der Heimat. Studienangebote mit enger Anbindung an die Industrie sind deshalb besonders attraktiv.

Langjährige Partnerschaft: An der Munk School of Global Affairs & Public Policy der University of Toronto fördert der DAAD die Joint Initiative in German and European Studies (JIGES).© AdobeStock/SockaGPhoto
Welches Interesse haben kanadische Hochschulen an Kooperationen mit deutschen Einrichtungen?
Das Interesse ist groß und wächst weiter. Auch im Zuge der aktuellen politischen Entwicklungen in den USA wird eine stärkere Anbindung an Europa diskutiert. Allerdings ist die finanzielle Lage der kanadischen Hochschulen zurzeit angespannt und viele Programme werden aus Kostengründen überprüft. Die Verbindungen zu Deutschland sind jedoch eng und stabil, besonders im Forschungsbereich. Seit 2024 ist Kanada auch mit “Horizon Europe” assoziiert, was die Zusammenarbeit in geförderten EU-Großprojekten erleichtert.
Gibt es besondere Chancen für deutsche HAWs in Kanada?
Definitiv. Unter dem Stichwort “Co-operative Education” werden in Kanada praxisorientierte Studiengänge angeboten, die mit dem dualen Studium in Deutschland vergleichbar sind. Häufig sind diese Studiengänge an Colleges und Polytechnics angesiedelt. Vor allem letztere sind aus meiner Sicht interessante Partner für deutsche HAWs. Sie orientieren sich stark an den Bedürfnissen von Industrie und Wirtschaft und sind neben der Lehre auch in der angewandten Forschung aktiv. Viele Colleges und Polytechnics sind allerdings nicht als Hochschulen in der Anabin-Datenbank gelistet, was formale Kooperationen oft erschwert. Hier lohnt es sich jedoch, die weitere Entwicklung zu beobachten.
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