Kontakte zwischen Studierenden: Austausch auf dem Campus fördern

Studierende in Deutschland haben oft nur wenig Kontakt zu ihren internationalen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Vier Beispiele zeigen, wie sich das ändern lässt.

Autorin: Gunda Achterhold (Juli 2023)

Studierende sitzen draußen auf einer Treppe
© Carlo/AdobeStock

Die Welt auf dem eigenen Campus – für viele Studierende in Deutschland ist das eine attraktive Vorstellung. Rund 40 Prozent der einheimischen Studierenden wünschten sich mehr internationale Kommilitoninnen und Kommilitonen an der eigenen Hochschule. Das zeigen die Ergebnisse der im April 2023 veröffentlichten DAAD-Studie "Benchmark internationale Hochschule" (BintHo). Das aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanzierte Projekt geht unter anderem der Frage nach, welche Gründe junge Menschen zu einem Studium im Ausland oder in Deutschland bewegen. Es ist die größte Befragung zur internationalen Studierendenmobilität in Deutschland.

Persönliche Kontakte erleichtern den Einstieg

Tatsächlich erreichte die Zahl der an deutschen Hochschulen eingeschriebenen internationalen Studierenden mit rund 360.000 zum Wintersemester 2022/23 einen neuen Höchststand. Für mehr Austausch im Studienalltag scheint das jedoch kaum zu sorgen: Mehr als vier Fünftel der inländischen Studierenden führen laut BintHo gar keine oder nur sehr selten Gespräche mit internationalen Studierenden aus europäischen oder nichteuropäischen Ländern. Auf digitaler Ebene sieht es nicht besser aus. Drei Viertel der befragten inländischen Studierenden sind zwar sehr aktiv und kommunizieren über WhatsApp, Facebook oder Instagram nahezu täglich mit anderen inländischen Studierenden. Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem Ausland bleiben jedoch auch hier eher unter sich.

Aus Marketingperspektive sind diese Ergebnisse bedenklich – werben doch viele Hochschulen mit der internationalen Atmosphäre und guten Gemeinschaft auf ihrem Campus. Und auch mit Blick auf den Studienerfolg ist der Austausch mit Einheimischen für internationale Studierende vor allem in der Studieneingangsphase wichtig, wenn es darum geht, sich an die neue Lern- und Lebenswelt zu gewöhnen. Persönliche Kontakte erleichtern den Einstieg und helfen dabei, sich gut in den Studienalltag zu integrieren. Für einen erfolgreichen Studienabschluss sind diese Voraussetzungen essenziell, das zeigte bereits die SeSaBa-Studie zu Studienerfolg und Studienabbruch bei internationalen Studierenden in Deutschland.

Wie schwer es für Studierende aus dem Ausland ist, Einheimische kennenzulernen, das bekommt Jan Bensien im International Center der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel aus erster Hand mit. "Viele erzählen uns in den Sprechstunden davon", sagt der Berater. "Sie vermissen den Austausch, wissen aber nicht, wie sie in Kontakt kommen können." Das International Center arbeitet eng mit dem studentischen Begegnungsprojekt kulturgrenzenlos zusammen, das vom DAAD-Programm "Welcome" gefördert wird. 2021 wurde der Verein, der auf vielen verschiedenen Ebenen Angebote zur gemeinsamen Freizeitgestaltung schafft, vom BMBF und dem DAAD mit dem Hochschul-Integrationspreis ausgezeichnet. Mittlerweile arbeiten mehr als 35 Studierende ehrenamtlich mit. "Die binden wir in die Opening-Programme zu Beginn des Semesters ein, ebenso wie das Erasmus Student Network", so Bensien. "Damit holen wir unheimlich viele internationale Studierende ab, die Zusammenarbeit hat sich zu einem regelrechten Integrationstreiber entwickelt."

Zu Eigeninitiative ermutigen

Mit einem Gastfamilienprogramm fördert das International Center auch Begegnungen außerhalb des Campus. Seit 15 Jahren bringt das Team unter dem Motto "Begegnung unterm Tannenbaum" Studierende und Promovenden aus dem Ausland mit Familien, Alleinstehenden oder Paaren zusammen, um gemeinsam das Weihnachtsfest zu erleben. "Die Neugierde ist auf beiden Seiten groß", stellt Bensien immer wieder fest. Häufig kommt es dabei zu interreligiösen Begegnungen, die spannende Einblicke in jeweils unterschiedliche Kulturen ermöglichen. Nicht selten entstehen persönliche Bindungen über die Festtage hinaus. Vor allem mangelnde Sprachkenntnisse, aber auch unterschiedliche kulturelle Prägungen stünden dem Austausch internationaler Studierender und Einheimischen häufig im Wege, beobachtet Bensien. "Schon in den Einführungsveranstaltungen ermutigen wir Internationals deshalb dazu, auch selbst die Initiative zu ergreifen, sich zu trauen und auf andere zuzugehen."

Wie leicht sich Kontakte zwischen internationalen und einheimischen Studierenden herstellen lassen, zeigt eine Initiative an der Hochschule Koblenz. In dem Projekt "Sprichst du technisch?!" sitzen Studierende miteinander im Elektrotechnik-Labor, arbeiten gemeinsam an Experimenten und lernen nebenbei die Fachbegriffe. "Wenn man mit dem Lötkolben in der Hand nebeneinandersitzt und an einer konkreten Aufgabe tüftelt, kommt man leicht miteinander ins Gespräch", sagt Pia Dekorsy, Mitarbeiterin im International Office. Gemeinsam mit Dr. Johannes Stolz, Professor an der Fakultät für Ingenieurwesen, begleitet sie das 2017 ins Leben gerufene Projekt. Die Veranstaltungen finden an drei Freitagvormittagen pro Semester statt, jeweils ein bis zwei Hilfskräfte aus dem Fachbereich Maschinenbau arbeiten mit und unterstützen die Teilnehmenden bei ihren Experimenten. Die Veranstaltungen richten sich an alle Studierenden der Hochschule, auch Geflüchtete aus den studienvorbereitenden Kursen werden von Anfang an mit eingebunden. "Inzwischen beobachten wir Schneeballeffekte", berichtet Pia Dekorsy. "Einige der Ehemaligen, auch Geflüchtete, engagieren sich inzwischen selbst als Hilfskräfte in den Kursen."

Die Initiative für das Projekt kam aus dem Fachbereich – für Anne Quander, Leiterin des International Office an der Hochschule Koblenz, ein entscheidender Faktor. Im Hinblick auf das Thema Integration sind persönliche Kontakte aus ihrer Sicht ein Motor für den Studienerfolg, die Sensibilisierung der Fachbereiche für das Thema ist für sie daher essenziell. "Der Austausch in gemischten Lerngruppen ist wesentlich intensiver als in jeder Vorlesung", so Quander. "Es ist Aufgabe der Fachbereiche, diese Prozesse aktiv zu steuern und entsprechende Angebote zu schaffen." Auch im Hinblick auf sinkende Studierendenzahlen seien internationale Zielgruppen wichtig. "Eine gute Vorbereitung internationaler Studierender wirkt sich auch auf die soziale Integration aus", so Quander. Sie verweist auf die Studienverläufe geflüchteter Studierender, die im Rahmen studienvorbereitender Programme eine intensive persönliche Betreuung erfahren. "Diese Gruppe meistert ihr Studium sehr erfolgreich", stellt die IO-Leiterin fest. "Ehemalige Integra-Studierende bewegen sich auch in gemischten Gruppen sicher und tun sich leichter, auf andere zuzugehen."

Interkulturelles Engagement mit Credit Points fördern

An der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg gaben die guten Erfahrungen aus den studienvorbereitenden Kursen für Geflüchtete den Anstoß für das 2022 gestartete Programm Orientierung PLUS. Studierenden im fortgeschrittenen Fachstudium bietet es die Möglichkeit, sich zu interkulturellen Begleiterinnen und Begleitern für internationale Studierende ausbilden zu lassen. Im Rahmen einer intensiven Schulung im Professionalisierungsbereich erwerben sie nicht nur wertvolle Schlüsselkompetenzen für ihr späteres Berufsleben, sondern auch Credit Points. Ein positiver Anreiz, der inländische Studierende zur Beteiligung motivieren soll. "Ziel der Schulung ist die Vorbereitung und Durchführung von sogenannten Cheer-up Meetings, mit denen wir einen lebendigen und interkulturellen Austausch zwischen internationalen und lokalen Studierenden in Gang bringen", sagt Projektkoordinatorin Katja Kaboth-Larsen. Sechs Mal im Semester leiten die studentischen Begleiterinnen und Begleiter diese jeweils dreistündigen Begegnungen in festen Gruppen an. Bei einem gemeinsamen Essen oder einem Picknick kommen die Teilnehmenden ins Gespräch und tauschen sich über Themen aus, die sie bewegen. "Cheer-up", der Name ist Programm. "Viele internationale Studierende sind sehr einsam", so Kaboth-Larsen. "Wir muntern sie auf und motivieren dazu, weiterzumachen. Oft hilft es schon, dass ihnen jemand zuhört, und von anderen zu erfahren, dass sie sich genauso fühlen."

Behälter mit Notizzetteln, Textmarker und Suppenkelle auf einem Tisch
© Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Im Programm "Orientierung PLUS" der Universität Oldenburg werden Studierende als interkulturelle Begleiterinnen und Begleiter geschult. Mit Methoden wie der "Simmering Soup" lernen sie, auf die Bedürfnisse ihrer internationalen Kommilitoninnen und Kommilitonen einzugehen.

Sorgen und Nöte der Teilnehmenden landen anonym auf kleinen Zettelchen in einer sogenannten "Simmering Soup", sie werden in der Runde vorgelesen und besprochen. Es ist eine Methode, mit der die Begleiterinnen und Begleiter in der 28 Einheiten umfassenden Schulung auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Sie lernen kompetent mit Gruppendynamiken umzugehen, Regeln zu setzen und Diskussionen zu steuern. Vor allem gehe es jedoch darum, ihnen nahe zu bringen, unter welchen teils sehr schwierigen Bedingungen internationale Studierende ihr Studium absolvieren, so Kaboth-Larsen. Von Problemen mit dem Visum, über unterschiedliche Lehr- und Lernkulturen bis hin zu der Tatsache, dass viele von ihnen arbeiten müssen, um ihren Unterhalt zu sichern. "Der Aha-Effekt ist bei vielen groß", stellt die Projektleiterin fest. "Den meisten einheimischen Studierenden ist gar nicht bewusst, mit welchen Schwierigkeiten ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem Ausland zu kämpfen haben."

Internationalisierung bezieht alle ein

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt "PIASTA – Interkulturelles Leben und Studieren", ein Angebot der Abteilung Internationales der Universität Hamburg. Von Studierenden für Studierende werden hier rund 100 Veranstaltungen über das Semester verteilt durchgeführt, um eine Plattform für interkulturellen Austausch und transkulturelles Leben an der Universität zu schaffen. Das Programm – 1988 als Unterstützung internationaler Studierende durch internationale Tutorinnen und Tutoren gegründet – richtet sich ausdrücklich an alle Studierenden der Hochschule. "Das Konzept wurde 2009 auf den Kopf gestellt", sagt Projektleiterin Alexandra Hach. "In einem offenen Programm kommen viele unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven zusammen, davon profitieren alle am meisten."

Mit einer Welcome Week heißen die PIASTA-Tutorinnen und -Tutoren alle Studierenden der Universität Hamburg (UHH) willkommen und bringen sie miteinander in Kontakt. Rund zwanzig Ehrenamtliche und ebenso viele Tutorinnen und Tutoren beteiligen sich an dem Programm. In den gemischten Teams arbeiten in etwa genauso viele internationale wie lokale Studierende zusammen, was den Austausch auch außerhalb des Projektes fördere, beobachtet die Koordinatorin. PIASTA trage damit auch zu einer "Internationalisierung at Home" bei. "Das Interesse an einer Region oder an einem Auslandsaufenthalt in einem bestimmten Land wird häufig über persönliche Kontakte geweckt." Bei PIASTA können ehrenamtlich engagierte Studierende als Anerkennung für ihren Einsatz das Certificate of Intercultural Competence (CIC) erhalten. Es beinhaltet auch die Teilnahme an interkulturellen Trainings und kann von allen Studierenden der UHH erworben werden, die ihre interkulturelle Kompetenz durch ein Zertifikat belegen wollen. "Die Jobs sind total beliebt", sagt Alexandra Hach. "Das CIC ist interessant für den Lebenslauf. Aber es ist auch eine Erinnerung an ihre Zeit an der Uni Hamburg, auf die sie stolz sind."

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