"Soziale Medien sind für das Hochschulmarketing in Polen entscheidend"

Dieses Interview ist Teil unseres Länderprofils Polen, das Ihnen umfassende Informationen und Tipps zum polnischen Hochschulmarkt bietet.
Autorin: Clara Krug (März 2025)

Langjährige Beratungserfahrung vor Ort: Dr. Martin Krispin und Maria Szrajber-Czerwińska in der DAAD-Außenstelle Warschau© DAAD
Herr Dr. Krispin, Frau Szrajber-Czerwińska, warum lohnt es sich für deutsche Hochschulen, in Polen aktiv zu sein?
Dr. Martin Krispin: Polen ist ein attraktiver Hochschulmarkt mit vielen talentierten und engagierten jungen Menschen. Polnische Studierende zeichnen sich durch hohe Selbstdisziplin und Gewissenhaftigkeit aus. Statistisch gesehen ist das Risiko, dass sie im Studium scheitern, relativ klein. Das macht sie zu einem sicheren Investment für deutsche Hochschulen. Die interkulturellen Hürden sind außerdem gering. Polnische Studierende benötigen in der Regel wenig Eingewöhnungszeit und sind anpassungsbereit, was sich positiv auf ihre Integration auswirkt. Es gibt knapp 1.500 deutsch-polnische Hochschulkooperationen – das sind mehr als zwischen deutschen und britischen Hochschulen. Polnische Universitäten gehen gerne langfristige Kooperationen mit deutschen Hochschulen ein, die aufgrund ihres Renommees als prädestinierte Partner gelten.
Welche fachlichen und sprachlichen Qualifikationen können deutsche Hochschulen in der Regel von polnischen Studieninteressierten erwarten?
Krispin: Laut PISA-Studie erzielen Schülerinnen und Schüler in Polen überdurchschnittlich gute Leistungen in Mathematik, Lesefertigkeit und Naturwissenschaften. Sie sind es gewohnt, ein hohes Lernpensum zu bewältigen. In der Regel haben sie gute bis sehr gute Englischkenntnisse.
Maria Szrajber-Czerwińska: Zudem lernen in keinem Land der Welt so viele Menschen Deutsch als Fremdsprache, bei der letzten Erhebung 2020 waren es in Polen immer noch rund zwei Millionen. Das qualifiziert viele polnische Studierende für deutschsprachige Studiengänge. Das Interesse der meisten polnischen Studierenden konzentriert sich trotzdem zunehmend auf englischsprachige Angebote. Beliebte konkurrierende Zielländer sind deshalb Länder mit ausgeprägten englischsprachigen Studienangeboten, allen voran das Vereinigte Königreich und die Niederlande.

Großes Interesse: An einer Konferenz der DAAD-Außenstelle Warschau zum Thema Studium und Bewerbung an deutschen Hochschulen nahmen rund 150 Abiturientinnen und Abiturienten aus ganz Polen teil.© DAAD/Kaźmierczak
Wie schätzen Sie das aktuelle Interesse polnischer Studierender an einem Deutschlandaufenthalt ein?
Krispin: Aktuell studieren rund 4.000 polnische Studierende in Deutschland, von denen der Großteil in Masterstudiengängen eingeschrieben ist. In den vergangenen Jahren sind die Zahlen leicht gestiegen. Wir rechnen mit einem weiteren Anstieg, da das Interesse an englischsprachigen Studiengängen wächst und gleichzeitig das Angebot deutscher Hochschulen in diesem Bereich zugenommen hat. Darüber hinaus wird Deutschland als attraktiver Arbeitsmarkt mit guten Verdienstmöglichkeiten wahrgenommen.
Was macht den Hochschulstandort Deutschland aus Sicht polnischer Studierender attraktiv?
Krispin: Unserer Erfahrung nach sind es vor allem finanzielle Überlegungen, die eine Rolle spielen. Für polnische Studierende ist das gebührenfreie Studium in Deutschland verlockend. Da auch an polnischen staatlichen Hochschulen keine Studiengebühren anfallen, fehlt vielen jungen Polen der finanzielle Anreiz, ins Ausland zu gehen und dort für ihre Bildung zu zahlen. In diesem Kontext stellt das kostenfreie Studium in Deutschland einen bedeutenden Standortvorteil dar. Darüber hinaus punktet Deutschland mit seiner geografischen Nähe zu Polen. Die engen zivilgesellschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern verstärken diese Attraktivität und schaffen zusätzlich ein Gefühl der Sicherheit. Viele Menschen mit polnischen Wurzeln leben in Deutschland, und zahlreiche Studierende haben Freunde oder Verwandte, die von ihren positiven Erfahrungen dort berichten. Viele unserer polnischen Stipendiatinnen und Stipendiaten schwärmen außerdem von der lebendigen akademischen Kultur in Deutschland und der engen Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden. Auch das ist ein starkes Argument und ein Unterschied zu polnischen Hochschulen.
Wie kann eine deutsche Hochschule polnische Studieninteressierte von sich überzeugen?
Krispin: Ein wichtiges Kriterium sind Rankings. Die sehr gut oder gut bewerteten deutschen Universitäten in den großen urbanen Zentren ziehen besonders leicht die Aufmerksamkeit polnischer Studierender auf sich. Wichtig ist polnischen Studierenden auch der konkrete Nutzen eines Studiums, etwa die Frage nach der Anschlussfähigkeit des Studienangebots auf dem Arbeitsmarkt. Deutsche Hochschulen, die mit Unternehmen kooperieren und zum Beispiel Praktikumsmöglichkeiten in der lokalen oder regionalen Wirtschaft anbieten, sollten das ganz klar als großen Mehrwert kommunizieren.
Szrajber-Czerwińska: Einen ersten, guten Eindruck vom herausragenden Angebot kleinerer Hochschulen auch abseits der Metropolen erhalten Studierende zum Beispiel in Sommerkursen, für die deutsche Hochschulen gezielt werben sollten.

Peer-to-Peer-Beratung: Polnische Studierende deutscher Hochschulen leiten in Zusammenarbeit mit der DAAD-Außenstelle Warschau Workshops zum Studium in Deutschland.© DAAD/Kaźmierczak
Über welche Kanäle können deutsche Hochschulen polnische Studieninteressierte am besten erreichen?
Szrajber-Czerwińska: Am besten und am direktesten erreicht man sie über die Sozialen Medien. Deutsche Hochschulen sollten hier möglichst ein Budget für gezielte Werbung einplanen. Wichtig ist, dass die Kommunikation im Idealfall auf Polnisch erfolgt und leicht verständlich ist. Gegebenenfalls kann sich hier ein Outsourcing lohnen. Wir empfehlen, Studierende als Testimonials in Stories, Reels und Posts einzubinden. Sie stärken die Glaubwürdigkeit und sprechen potenzielle Studierende direkt und authentisch an. Printmaterialien dagegen spielen im Hochschulmarketing in Polen kaum noch eine Rolle. Messeauftritte können für einen ersten Kontakt zur Zielgruppe hilfreich sein, aber für eine breite Wirkung lohnt sich der Aufwand unserer Wahrnehmung nach oft nicht mehr. Viel wichtiger ist eine übersichtliche englischsprachige Website. Informationen zum Bewerbungsprozess müssen klar und einfach erklärt werden – vielleicht auch, indem man junge Studierende beratend einbindet, weil sie der Zielgruppe nahestehen. Die Hochschulwebsite sollte unbedingt klare Ansprechpersonen nennen, die so schnell wie möglich auf Anfragen reagieren. Das schafft Vertrauen und zeigt, dass man die Bedürfnisse der Studierenden ernst nimmt.
Gibt es hierbei Unterschiede zwischen der Rekrutierung im Bachelor-, Master- oder Promotionsbereich?
Szrajber-Czerwińska: Generell erreicht man alle Zielgruppen gut über die Sozialen Medien, Abiturientinnen und Abiturienten auch über die Schulen und Eltern. Für Bachelor- und zum Teil Masterstudierende sind Kanäle wie YouTube, Instagram, TikTok und Facebook wichtig. Beide Zielgruppen erreicht man auch über wissenschaftliche Klubs an den Hochschulen. Bei Doktoranden ist die Kontaktaufnahme schwieriger, LinkedIn kann ein geeignetes Medium sein. Für alle Bereiche gilt, dass auch eine Kontaktaufnahme mit Studierendenvertretungen an den Fakultäten zielführend sein kann.
Welche Rolle spielen die Eltern für die Studienwahl junger Polinnen und Polen?
Krispin: Der Einfluss der Eltern ist in Polen entscheidend, insbesondere wenn es um Bildung und Jobaussichten geht. Sie sind stark in die Studienwahl involviert und sogar in vielen Facebook-Gruppen aktiv. In Polen ist die Familie weit gefasst; oft engagiert sich die gesamte Verwandtschaft, um sicherzustellen, dass der Nachwuchs die bestmögliche Ausbildung erhält. Daher sollten Hochschulen bei ihrer Ansprache stets den Einfluss der Eltern im Blick haben und möglicherweise spezielle Beratungsangebote entwickeln. Informationen über die Lage der Universität, Betreuungsangebote und Ansprechpersonen sind für Eltern besonders wichtig und sollten in der Kommunikation entsprechend berücksichtigt werden.
Welches sind die meistgestellten Fragen in Ihren Beratungen zum Studienstandort Deutschland?
Szrajber-Czerwińska: Die häufigsten Fragen, die uns erreichen, drehen sich um die besten Universitäten in Deutschland und die optimale Vorgehensweise für die Bewerbung um das Studium einer bestimmten Fachrichtung. Viele Interessierte möchten auch wissen, welche Zugangsvoraussetzungen für ihre Wunschstudiengänge gelten. Oft bitten sie um persönliche Ratschläge und stellen Fragen wie: “Was würden Sie an meiner Stelle tun?” Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Umrechnung der Noten aus dem polnischen Abitur ins deutsche Bewerbungssystem – ein oft komplizierter Prozess.
Welche Herausforderungen, Hindernisse oder Risiken können sich mit Blick auf die Studierendengewinnung in Polen ergeben?
Szrajber-Czerwińska: Es ist wichtig zu wissen, dass das polnische Abitur, die Matura, auf zwei Niveaus abgelegt werden kann, dem einfachen und dem erweiterten Niveau. Wer in Polen ein bestimmtes Fach studieren möchte, muss den Abschluss in den entsprechenden Schulfächern auf erweitertem Niveau ablegen. Da die Prüfungen auf diesem Niveau viel anspruchsvoller sind, schließen die Schülerinnen und Schüler oft mit schlechteren Noten ab als in den Prüfungen auf einfachem Niveau. Für die Anerkennung der Note in Deutschland spielt das Niveau keine Rolle, kann deutschen Hochschulen aber bei der Einschätzung der tatsächlichen Qualifikationen helfen. Ein Problem sind die Bewerbungsfristen. Während der Stichtag in Deutschland oft der 15. Juli ist, erhalten polnische Abiturientinnen und Abiturienten ihre Ergebnisse erst am 8. oder 9. Juli. Diese müssen dann notariell beglaubigt und übersetzt werden, was zu Zeitdruck führt. Wir haben schon erlebt, dass vielversprechende Bewerbende gescheitert sind, weil ihre Unterlagen verspätet ankamen. Viele junge Polinnen und Polen sind überzeugt, dass in Deutschland alles reibungslos funktioniert. Wenn sie dann hören, dass sie ihre Unterlagen in Papierform einreichen müssen, sind sie oft enttäuscht. Sie fragen sich, ob das im digitalen Zeitalter wirklich notwendig ist. Ein anderer Punkt: Deutschland gilt als Land mit hohen qualitativen Standards, das Studium wird als sehr anspruchsvoll eingeschätzt. Viele polnische Studierende, die ihre akademische Leistung kritisch einschätzen, glauben, dass sie vielleicht nicht gut genug für ein Studium in Deutschland sind. Dem sollten deutsche Hochschulen kommunikativ entgegenwirken, indem sie zum Beispiel gezielt über Vorbereitungskurse und Tutorien informieren.
Sehen polnische Studierende nach einem erfolgreichen Studium ihre Karrierechancen eher in Deutschland oder bevorzugen sie eine Rückkehr nach Polen?
Krispin: Das ist von der individuellen Situation und darüber hinaus sicher auch von der wirtschaftlichen Lage Polens abhängig. In den 1990er-Jahren, während der tiefgreifenden Wirtschaftsreformen, waren die beruflichen Aussichten ungewiss, und viele junge Menschen suchten ihr Glück im Ausland – eine Tendenz, die sich in der Arbeitsmigration nach Deutschland widerspiegelt. In den vergangenen 20 Jahren hat Polen jedoch einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Heute herrscht in Warschau nahezu Vollbeschäftigung und die Gehälter in der Hauptstadt sind in vielen Bereichen mit denen in Westeuropa vergleichbar. Junge Polinnen und Polen betrachten Deutschland inzwischen nicht mehr nur als Ziel, sondern innerhalb der EU auch als Sprungbrett für ihre berufliche Laufbahn.
Gibt es kulturelle Besonderheiten oder generelle Dos and Don’ts, die deutsche Hochschulen in Polen beachten sollten?
Krispin: Polen ist ein modernes Land, das in manchen Bereichen wie der Digitalisierung sogar weit vor Deutschland liegt. In den vergangenen 20 Jahren hat sich Polen zu einem Vorbild für wirtschaftlichen Erfolg und europäische Integration entwickelt. Polinnen und Polen sehen sich als Mitteleuropäer und nicht als Osteuropäer. Die Menschen in Polen möchten entsprechend wahrgenommen werden. Eine respektvolle Ansprache auf Augenhöhe ist bei Kooperationsverhandlungen entscheidend, fördert den Austausch und das Verständnis.

Kooperiert mit derzeit 46 deutschen Hochschulen: Die Universität Warschau© DAAD
Welche Interessen haben polnische Hochschulen an Kooperationen mit deutschen Hochschulen?
Krispin: Polnische Hochschulen haben ein großes Interesse daran, sich weiterzuentwickeln und ihre wissenschaftlichen Disziplinen zu stärken, weshalb die Zusammenarbeit mit renommierten deutschen Partnern attraktiv ist. Insgesamt stellen wir allerdings auch fest, dass sich polnische Hochschulen verstärkt um ihre heimischen Studierenden bemühen und verhindern möchten, dass talentierte junge Menschen ins Ausland abwandern. Es ist entscheidend, dass Kooperationen so gestaltet werden, dass sie nicht zu einem einseitigen Abfluss von Studierenden und Nachwuchsforschenden führen. Der Braindrain ist ein sensibles Thema, das in diesen Überlegungen unbedingt berücksichtigt werden muss.
Gibt es für deutsche HAWs besondere Anknüpfungspunkte in Polen?
Krispin: Zwar gibt es in Polen einige Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, aber sie sind nicht mit dem deutschen Modell zu vergleichen und genießen keinen allzu guten Ruf. Die Herausforderungen für deutsche HAWs liegen deshalb in der Vermarktung ihrer Angebote, zumal sie oft an weniger urbanen Standorten angesiedelt sind. Genau dies kann aber als Vorteil kommuniziert werden, zum Beispiel weil die Sicherheitslage jenseits der Städte entspannter wahrgenommen wird als in Metropolen. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Chancen für deutsche HAWs langfristig auch in Polen verbessern werden, weil das Modell in ganz Europa an Bekanntheit und Attraktivität gewinnt.
Bleiben Sie auf dem Laufenden!
Sie möchten regelmäßig über neu erschienene Artikel informiert werden? Abonnieren Sie den DAAD-Newsletter Hochschul- und Forschungsmarketing.